1944
Öffentliche Replik An Herrn Regierungsrat Georges Moeckli, Armendirektor des Kantons Bern!
In: Nation, Bern, Nr. 39 27.9.; in: Freies Volk, Bern, Nr. 38 22.9.
Nachdem in der Tagespresse sehr mangelhaft und teilweise unrichtig über die Diskussion im Berner Grossen Rat betreffend einen Artikel von C.A.Loosli in Nr.34 der „Nation“ berichtet wurde (die Presseberichterstatter sollen bei der Debatte gar nicht anwesend gewesen sein), erachten wir es als unsere Pflicht, C.A.Loosli Gelegenheit zu geben, sich zu den Angriffen auf seine Person äussern zu können. Die folgende Rechtfertigung ist bereits auch in der Zeitung „Freies Volk“ erschienen. Die Redaktion.
Herr Regierungsrat,
Sie haben sich anlässlich der Anstaltsdebatte der Nachmittagssitzung des Grossen Rates vom 13. d.Mts. unter dem Schutze Ihrer parlamentarischen Immunität in einer mir zwar aus schon früheren Erfahrungen nicht mehr neuen, nämlich in einer Weise befasst, die ich von einem Manne begreife und die ich ihm darum verzeihe, weil er sich mit dem besten Willen nicht anders zu helfen weiss.
Ein kantonaler Armendirektor, der in amtlicher Eigenschaft am 30. November 1938 feststellte, das Armen- und Niederlassungsgesetz schreibe in Art. 85 die Bekämpfung der Armut vor, und der seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, die Sterilisation der Armen sei eines der geeignetsten Mittel dazu; ein kantonaler Armendirektor, der als Sozialist und Demokrat die uneheliche Geburt eines Beschwerdeführers nebst seinen übrigens in der Hauptsache „administrativen“ Vorstrafen missbraucht, um dessen Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, – ein solcher Armendirektor richtet sich selbst und würde mich nicht veranlassen, mich weiter mit ihm auseinanderzusetzen, böten seine Äusserungen nicht neuen Anlass, mich um der Sache willen
mit ihm zu befassen.
Ich stütze mich dabei auf die Berichterstattungen über die vorberührte Grossratssitzung in Nr. 432 des „Bund“ und in Nr. 216 der „Berner Tagwacht.“
Je nun, ich stelle fest, dass Sie meine Ausführungen in Nr. 34 der „Nation“ in einem einzigen Punkt erfolgreich widerlegt haben. Der Lehrer, der seinerzeit die Armendirektion veranlasste, den damaligen Vorsteher der Knabenerziehungsanstalt von Erlach abzuberufen, ist mit dem derzeitigen Stadtpräsidenten von Biel, Herrn Dr. Guido Müller, tatsächlich nicht identisch. Diesem gegenüber habe ich mich bereits am 13. d. Mts, nämlich sobald ich von meiner Personenverwechslung unterrichtet ward, in aller Form entschuldigt.
Dass Sie, wie Sie sich rühmen, in zwei Fällen, die Anstaltsvergehen betrafen, Massnahmen ergriffen, ohne dass es dazu eines Anstosses von aussen bedurft hätte, ist lobenswert, und dafür danke ich Ihnen. Es beweist aber lediglich, was ich bereits in der „Nation“ feststellte, nämlich dass die unmittelbaren Aufsichtsorgane auch hier versagten, anders nicht Sie unmittelbar hätten eingreifen müssen.
Es mag übrigens sein, dass die Aufsichtsorgane ab und zu ihrer Pflicht genügen. Ich habe nie – wie Sie mir zu unterschieben beliebten – das Gegenteil behauptet, sondern lediglich festgestellt, es sei mir seit einem halben Jahrhundert kein derartiger Fall zur Kenntnis gelangt.
Wir werden uns in absehbarer Zeit noch in aller Öffentlichkeit darüber zu unterhalten haben, warum die Aufsichtskommissionen, auch wenn sie es wollten und wünschten, unzuständig wären, ihren Pflichten voll zu genügen.
Sie haben ferner erklärt, die Regierung sei nicht gewillt, auch weiterhin die ungerechtfertigten Anwürfe zu dulden. Wenn Sie darunter auch meine Aussetzungen mitinbegriffen haben, dann erlaube ich mir, Sie höflich daran zu erinnern, dass ich die Behörden bereits im Herbst 1897, dann in meinen Anstaltsschriften von 1924 bis 1928, ferner in meiner 1939 erschienenen Schrift über die angebliche „Administrativjustiz und schweizerische Konzentrationslager“ immer wieder aufforderte, mir vor Gericht Gelegenheit zu bieten, den Wahrheitsbeweis meiner Feststellungen zu erbringen. Ich halte diese Aufforderung auch heute und Ihnen gegenüber aufrecht.
Dass Ihnen die spärlichen Überbleibsel unserer Pressfreiheit unangenehm aufstossen und Sie sie unterdrücken möchten, begreife ich. Es beweist jedoch lediglich einmal mehr, dass nicht Sie, sondern wir auf dem demokratischen und verfassungsrechtlichen Boden stehen (BV Art. 55; Bern. Staatsverfassung Art. 77).
Da Sie, wie Sie dem Grossen Rat in freundlicher Weise mitgeteilt haben, über mich persönlich so vorzüglich orientiert sind, so darf ich annehmen, es sei Ihnen u.a. auch mein Bericht über die Knabenerziehungsanstalt Landorf an die kantonal-bernische Armendirektion vom 16. Mai 1933 nicht entgangen. Sie werden daraus ersehen haben, dass mir wahrhaftig nichts ferner liegt, als den Behörden Schwierigkeiten zu bereiten, sondern dass es mir in diesem wie in allen anderen Fällen stets daran lag, ihnen hilfreich beizustehen.
Vielleicht werden Sie aus jenem Bericht auch ersehen haben, wie es etwa anzustellen wäre, die stets wieder auftretenden Anstaltsskandale weitmöglich zu vermeiden und auf diese Weise der Kritik zum voraus den Boden zu entziehen.
Auf die eigentlichen Kernfragen aber werde ich demnächst, trotz Ihrer Einschüchterungsversuche, in der Presse zurückkommen, und zwar solange meine Kräfte dazu ausreichen und behördlicherseits nichts geschieht, unwürdigen, staats- und gesellschaftswidrigen Zuständen zu steuern.
Bei Philippi sehen wir uns wieder, Herr Regierungsrat !
Bümpliz, den 16. September 1944
C. A. Loosli